Vorwort

Queere Wortkunst, die die

Vielfalt der Liebe und Lebens-

weisen hinter dem nicht sehr

kurzen Kürzel LSBTIAQ sichtbar

macht, das ist »Pride-Poesie«.

Weltweit erinnern die Prides,

in Deutschland oft Christopher

Street Days, kurz CSDs, genannt,

an den signalgebenden Aufstand

von nicht-heterosexuellen Men-

schen gegen Polizeiwillkür im New

Yorker Stonewall im Jahre 1969.

In Europa geht die Menschen-

rechtsbewegung aufgrund der

Gesetzgebungen sogar zurück

bis ins neunzehnte Jahrhundert.

Noch vor Forscher Hirschfeld

machte der uranistische Jurist,

der Schriftsteller Karl Heinrich

Ulrichs, erster Schwuler der Welt

und Vater der Homo-Hochzeit,

sich für eine Liberalisierung

des Paragraphen 175 stark.

Letztlich wurde Homosexualität

in Deutschland bis 1994 weit

über 450 Jahre lang bestraft.

Doch schließlich fanden diese

ersten Entwicklungen des Selbst-

bewusstseins Andersfühlender

dann auch entsprechenden Aus-

druck, etwa in der chiffrierbaren

Lyrik.


Dass mit dieser Dichter*

innen einen ehrlichen Einblick in

homo-, bi-, trans*, inter-, asexuelle

sowie queere Liebes- und Lebens-

welten gewähren, hat eine lange,

reiche Tradition. Poesie ist wichtiger

Bestandteil des kulturellen Erbes

in vielen Teilen der Welt, ob Rumi,

Hafis, Sappho oder Kaiser Jianwen

von Liang, ob Sarmad Kashani,

Rimbaud oder Audrey Lorde.

Nach dem klassizistischen Winckel-

mann brachte jenes Jahr in Arkadien

schließlich erstmals offenen schwulen

Stolz, oh Kyllenion!, vor Fridolins heim-

licher Ehe, Frühlings Erwachen, der Liebe

Lust und Leid der Frau zur Frau,

Homosexualität, du deutsches Kind,

in Sitte und Recht, der fromme

Tanz am Zauberberge.

Heutzutage sind CSDs bzw. Prides

nicht nur Demonstrationen für die

rechtliche wie soziale Gleichstellung,

sondern ebenfalls Kundgebungen

positiver, selbstbewusster LSBTIAQ-

Lebensentwürfe mit vielfältigen Kunst-

und Kulturveranstaltungen. Dies
unterstützt und fördert »Pride-
Poesie
«, denn heute muss nicht

mehr – kann aber noch – chiffriert

werden.


Darum wollen wir das

Gedicht, den freisten, prägnan-

testen Gebrauch von Sprache,

Urahn des Raps und Slams,

aus seinem Schattendasein

zwischen der allgegenwärtig

plärrenden Popmusik und

Television herausheben,

in ein modernes Gewand

kleiden und Wortakrobat*
innen für ihre queere Kunst

eine leicht zugängliche Platt-

form bieten: das Lyrikvideo.

Die Bild-Ton-Werke, im Rahmen

dieses Wettbewerbs entstanden,

sind bereits online zu sehen,

aber die Beiträge eben auch

in purer, ungebeugter Wort-

gewalt in dieser Anthologie

nachzulesen.


Schön, dass du dich nun

der »Pride-Poesie« zuneigst…


Martin Wolkner

Dortmund im Oktober 2021

Pride Poesie
Ein Projekt des Neue Medien e.V.

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